Soziale Stadtent-wicklung & Wohnen

Der Graefe-Kiez im Wandel: Gentrifizierung, Verdrängung und Nutzungskonflikte

Der Graefe-Kiez steht beispielhaft für die dramatischen Folgen einer neoliberalen Stadtentwicklung. Steigende Mieten, die Ansiedlung hochpreisiger Gastronomien und Geschäfte sowie befristete Gewerbemietverträge von nur ein bis zwei Jahren treiben eine tiefgreifende Veränderung der Sozialstruktur voran. Besonders betroffen sind Menschen mit geringem Einkommen, ältere Bewohnerinnen und langjährige Mieterinnen, die aus ihrem Viertel verdrängt werden. Wer über 40 % seines Einkommens für Miete aufbringen muss, hat kaum noch Spielraum für ein würdevolles Leben – erst recht nicht in einem Kiez, der zunehmend auf zahlungskräftiges Publikum ausgerichtet wird.

Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen

Eine der größten Herausforderungen ist die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Ganze Häuser werden verkauft, modernisiert und anschließend in Einzeleigentum umgewandelt – mit oft verheerenden Folgen für die Mieter*innen. Denn wer sich den Kauf nicht leisten kann, wird über Eigenbedarfskündigungen oder drastische Mietsteigerungen aus dem Kiez gedrängt. Besonders betroffen sind ältere Menschen und Familien, die seit Jahrzehnten hier leben.

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Tourismus, Gastronomie und Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum

Parallel zur Mietentwicklung hat sich der Graefe-Kiez in den letzten Jahren zu einem touristischen Hotspot entwickelt. Die hohe Dichte an gastronomischen Betrieben und die zunehmende Außenbewirtschaftung, insbesondere in den Sommermonaten, führen zu massiven Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum. Lärm, Müll und eine intensive Flächennutzung haben die Lebensqualität der Anwohnerinnen spürbar eingeschränkt. Viele Menschen, die anfangs die Belebung des Viertels begrüßten, beobachten nun mit Sorge das Kippen des Kiezes. Besonders betroffen sind ältere Mieterinnen mit alten Verträgen, die trotz der Belastungen nicht wegziehen können, da die Mieten in der gesamten Stadt gestiegen sind.

Die Admiralbrücke als Konfliktzone

Ein markantes Beispiel für diese Konflikte ist die Admiralbrücke. Seit 2010 entwickelte sie sich zu einem Event-Ort mit großen Menschenansammlungen, lauter Musik und erheblichem Müllaufkommen. Dies belastete nicht nur die Anwohnerinnen, sondern auch die Natur. Ein Mediationsprozess wurde ins Leben gerufen, um zivilgesellschaftliche Lösungen zu finden – eine große Herausforderung, da viele Nutzerinnen Tourist*innen sind und Beziehungsarbeit kaum möglich ist. In den darauffolgenden Jahren verlagerte sich der Konflikt zunehmend auf den Gastronomiebetrieb. Gastronomen, die sich um ein gutes Miteinander bemühten, waren oft überfordert, da nicht alle Betriebe gleichermaßen an Lösungen interessiert waren.

Zudem sind viele Gastronomiebetriebe durch hohe Gewerbemieten und Konkurrenzdruck gezwungen, hohe Preise zu verlangen und auf eine große Kundschaft zu setzen. Das verschärft den Kreislauf aus Gentrifizierung, Tourismus und Kommerzialisierung, der im Graefe-Kiez besonders deutlich zu beobachten ist. Während die einen vom florierenden Geschäft profitieren, erleben andere eine schleichende Verdrängung aus ihrem Lebensumfeld.

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Suche nach Lösungen

Mieten- und wohnungspolitische Initiativen sowie Arbeitsgruppen wie die Mieten AG im Graefe-Kiez, das Kiezbündnis Solidarische Stadt, die Mieter*inneninitiative RundumdieHasenheide, das Mietenwahnsinnsbündnis und das Bündnis gegen Obdachlosigkeit kämpfen für eine sozial gerechte, solidarische Wohnungspolitik. Als Gemeinwesenarbeiterin unterstütze ich die politische Arbeit dieser Gruppen. Die Aufgabenbereiche reichen von mobilisierenden Haustürgesprächen über Infostände bis hin zu Kiezversammlungen und Kundgebungen.

Parallel dazu versucht die Gemeinwesenarbeit im Kiez, gemeinsam mit Initiativen wie Streit entknoten oder Lokal leben, Dialogräume zu schaffen, um Lösungen für Nutzungskonflikte zu entwickeln. Durch aktivierende Befragungen ermittelten wir, wie direkt betroffene Bewohner*innen beispielsweise den Gastronomielärm einschätzen und welche Lösungsansätze sie vorschlugen. Diese Ergebnisse ermöglichten eine Versachlichung der Diskussion rund um das Thema Gastronomielärm.

Unterm Strich ist der Konflikt jedoch nicht gelöst. In Einzelfällen konnten konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, wie das Verbot weiterer gastronomischer Ansiedlungen, um den Wohngebietscharakter zu erhalten. Doch letztlich zeigt sich: Die Probleme lassen sich nicht allein auf Stadtteilebene lösen – es braucht eine grundlegend andere Wohnungs- und Stadtpolitik.

Wer mehr darüber erfahren möchte, findet auf der Seite von Lokal leben weitere Informationen. Denn der Graefe-Kiez ist längst nicht das einzige Viertel, das mit diesen Herausforderungen kämpft.